Die Tafeln sind überlastet
Am 28. April 2022 setzte die Tafel Baden-Württemberg dieses Schreiben ab:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
für uns alle, aber insbesondere für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine, ist die Bewältigung der Kriegsfolgen eine große Herausforderung, oftmals an der Grenze der Belastbarkeit.
Der Aufbau von gesicherten Versorgungsstrukturen für Wohnen, Gesundheit, Bildung und Leistungsgewährung fordert von den Verantwortlichen auf den unterschiedlichen Ebenen (Bund, Land und Kommunen) innerhalb kürzester Zeit handhabbare Konzepte zur Sicherung der Daseinsfürsorge zu erarbeiten und umzusetzen.
Dabei spielt die Gewährung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für die betroffenen Menschen aus der Ukraine und zugleich auch für sozialen Sicherungssysteme eine ganz zentrale Rolle. Hierzu haben wir von unseren Mitgliedstafeln Rückmeldungen bekommen, dass je nach Landkreis oder kreisfreier Stadt andere Lösungsansätze beschritten wurden, damit sich die Geflüchteten mit dem Notwendigsten versorgen können. Dazu gibt es im Land gute Beispiele, bei denen eine effektive und unbürokratische Hilfe im Vordergrund steht und Vorgehensweisen, die eher zögerlich und sehr bürokratisch zu bezeichnen sind.
Für die Menschen aus der Ukraine heißt das, dass sie oftmals viele bürokratische Hürden überwinden müssen und lange nicht wissen ob, wann und in welcher Höhe sie mit Auszahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz rechnen können. Dass sie teilweise auch die Menschen, die ihnen Hilfen anbieten, um Geld anbetteln müssen. Diese Mischung aus Ungewissheit und Not hat in den letzten Wochen dazu geführt, dass eine sehr große Zahl der Geflüchteten um Hilfe und Unterstützung bei den Tafeln im Land nachgesucht hat. Bei nicht allen, aber bei sehr vielen Tafeln hat das dazu geführt, dass sich die Anzahl der Tafelkund*innen verdoppelt hat. Dazu kommen Meldungen, dass sich zugleich eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Kundengruppen entwickelt hat. Fast alle Tafeln berichten uns, dass sie derzeit im Ausnahmemodus arbeiten müssen "verlängerte Öffnungszeiten, zu wenig Lebensmittel, hoher Organisationsaufwand und Sprachbarrieren". Diese Herausforderungen werden durch die Ungewissheit darüber deutlich gesteigert, ob und wann die Kund*innen aus der Ukraine ausreichend öffentliche Sozialleistungen erhalten werden, mit denen sie die tafelüblichen Lebensmittelpreise bezahlen können.
In dieser Situation suchen und arbeiten derzeit fast alle Mitgliedstafeln mit Notlösungen:
• Abgabe der Lebensmittel über Gutscheine, kostenlose Abgabe oder Kredit
• Einwerbung von zusätzlichen Lebensmittelspenden, auf allen Ebenen (privat, Handel, kommunal, kirchlich und mehr)
• Begrenzung der individuellen Einkaufszeiten oder den Aufnahmestopp für Neukunden
• Zusätzliche Öffnungstage, verlängerte Öffnungszeiten
• Gleicher Umgang und gleiche Zuteilungen für alle Kundengruppen
Unsere Mitglieder fragen sich und uns, nach der Dauer des Ausnahmezustands für die Tafeln und teilen uns mit, dass die Notlösungen nur Notlösungen sind und nicht auf Dauer getragen werden können. Sie teilen uns mit, dass die Helfer*innen und Leitungskräfte in ihren Tafeln fast ständig überlastet sind, dass die Stimmung unter den Helfer*innen und Kund*innen oftmals zu kippen droht und die Motivation zur Arbeit in der Tafel für viele Helfer*innen stetig abnimmt.
Nachdem dieser Ausnahmezustand nun schon Wochen andauert und auch kein Ende absehbar ist, verstärkt sich bei unseren Tafeln der Eindruck, dass sie die Lasten für ein ungenügendes Handeln der öffentlichen Hand über längere Zeit tragen müssen. Wir und unsere Tafeln, befürchten zudem, dass der beabsichtigte Umstieg vom Asylbewerberleistungsgesetz zum SGB II zu einer erneuten Verzögerung von Leistungsgewährungen führen und damit zu einer weiteren Verlängerung des Ausnahmezustands führen wird.
Wir haben in dieser Situation auch keine Patentlösungen für eine zufriedenstellende Daseinsfürsorge der Geflüchteten parat. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe und die Aufgabe unserer Mitgliedstafeln ist die Sicherstellung eines geordneten Tafelalltags, verbunden mit einem respektvollen und gerechten Umgang mit allen unseren Kund*innen. Und wir sind dafür verantwortlich, dass unsere Helfer*innen nicht ständig körperlich und mental überlastet werden. Dies können wir aber aufgrund der oben beschriebenen Situation nicht mehr ausreichend gewährleisten.
Wir sehen uns in dieser Situation dazu gezwungen der öffentlichen Hand die Überlastungsanzeige der Tafelstrukturen mitzuteilen.
Wir bitten die verschiedenen Gliederungen des öffentlichen Sektors um Verständnis für unser Handeln und bitten zugleich um einen Austausch und Handlungsansätze, die zu einer Beendigung des Ausnahmezustands für die Tafeln in Baden-Württemberg führen können.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfhart von Zabiensky
1. Vorstand Landesverband der Tafeln in Baden-Württemberg e.V.
wolfhart.vonzabiensky@tafel-baden-wuerttemberg.de
Udo Engelhardt
Vorstandsmitglied für Öffentlichkeitsarbeit und Politik
udo.engelhardt@tafel-baden-wuerttemberg.de